Willy Russell - "The Wrong Boy" (Buchblogparade Teil 6, Beitrag Juni)

Als ich den vielen Regen im Mai langsam satt hatte, flüchtete ich mich zu den Smiths. Zur Erklärung: The Smiths sind eine einflußreiche englische Band aus den 80er Jahren, deren Erfolgsformel darin bestand Steven Patrick Morrisey (bald nur noch bekannt unter seinem Künstlernamen Morrissey) in unnachahmlichem Falsett bitterböse Texte zu Johnny Marr's zuckersüssen Melodien zu schmettern. Oder, wie mein Rock-Lexikon schreibt: "Jeder hat mal einen schlechten Tag. Aber die Smiths haben daraus eine Kunstform gemacht." Und weil verregnete Tage gleichzeitig deprimierend und doch wunderschön sein können, lege ich an solchen Tagen bevorzugt Musik dieser Band aus Manchester auf - und dort spielt auch die Geschichte in meinem Buch des Monats.



Gekaufte Bücher im Juni:
  • Ralph Potts - "Vagabonding"
Gelesene Bücher im Juni :
  • Willy Russell - "The Wrong Boy" (wiedergelesen)


Es handelt sich also um ein Buch das ich bereits gelesen habe, und zwar vor gut 12 Jahren auf Empfehlung von Zita Bereuter in einer kleinen Bücher-Rubrik des Radiosenders FM4. Aus mehreren Gründen beschloss ich spontan das Buch wieder zur Hand zu nehmen - erstens hatte ich es in guter Erinnerung, zweitens konnte ich mich paradoxerweise dennoch kaum an den Inhalt (geschweige denn Ausgang) des Buches erinnern, drittens war ich zum damaligen Zeitpunkt noch wesentlich weniger vertraut mit den Smiths und ihrer Musik, und viertens fand ich es spannend und repräsentativ, für die Buchblogparade zumindest ein Buch "wiederzulesen" - denn Hand aufs Herz: jeder hat Bücher daheim stehen, die er gerne nochmal zur Hand nimmt.

Das Buch ist 2000 erstmals erschienen, und unter dem Namen "Der Fliegenfänger" auch in einer deutschen Übersetzung erhältlich. Diese habe ich allerdings nicht gelesen, kann also nur für die englische Originalausgabe sprechen (gleichzeitig würde es mich aber sehr interessieren wie die oft derbe nordenglische Umgangssprache ins Deutsche übersetzt worden ist, also falls irgendjemand das Buch auf Deutsch gelesen hat freu ich mich über Rückmeldung!). Mit der Übersetzung des Titels von "The Wrong Boy" zu "Der Fliegenfänger" hat man sich jedenfalls schon mal einige Freiheiten genommen... aber ich vermute der Verlag wollte damit vielleicht auf einen anderen bekannten jugendlichen Protagonisten anspielen, nämlich den weltberühmten "Fänger im Roggen" von J.D. Salinger; denn auch "The Wrong Boy" ist eine Coming-of-Age Geschichte.

Der tragische Held dieser Geschichte heisst Raymond J. Marks, aber - anders als Holden Caulfield - ist er ein Außenseiter wider Willen. Als er am nahegelegenen Kanal mit ein paar Jungs seiner Schule das "Flytrapping" (also "Fliegenfangen") erfindet, steckt dahinter nicht viel mehr als als ein Kleinbubenstreich - oder "Zumpferlspiel", wie man es auf gut Wienerisch nennen würde -  die spielerische und absolut harmlose Auseinandersetzung mit dem eigenen Geschlecht (die Details dazu überlasse ich jetzt Eurer Phantasie). Leider laufen die Dinge aber etwas unglücklich aus dem Ruder, kommen ans Licht der Öffentlichkeit, und so wird aus einem harmlosen Zeitvertreib vorpubertierender Burschen plötzlich ein handfester Skandal, entsprungen der obszönen Fantasie eines kranken, fehlgeleiteten Jungen, der als Schuldiger schnell ausgemacht ist. Und so beginnt für unseren armen Raymond ein langer & tiefer Fall, bei dem man als Leser nicht anders kann als mitzuleiden. Wäre die Geschichte nicht so umwerfend komisch geschrieben, und mit zahlreichen liebens- und nicht so liebenswürdigen Charakteren geschmückt - es kämen einem unweigerlich die Tränen.

Erzählt wird das ganze rückblickend in Briefen - und zwar in Raymond's Briefen an sein grosses Idol Morrissey, in dessen Songs er letztlich Trost und so etwas wie einen Verbündeten am Weg zum Erwachsen-Sein gefunden hat. Und nicht zufällig verhält es sich mit diesem Buch ähnlich wie mit einem Smiths-Song: der Inhalt ist mitunter schwere Kost, wird aber sehr ansprechend & melodiös erzählt, und vermag uns dabei emotional zu berühren. Wie sehr das ganze autobiographisch inspiriert ist, vermag ich nicht zu beurteilen, aber fest steht dass auch Willy Russell einen sehr ungewöhnlichen Lebenslauf vorzuweisen hat: mit 15 die Schule verlassen, arbeitete er 6 Jahre als Frauenfriseur, dann ebenso in der Nylonstrumpf- sowie der Automobilindustrie, bevor er mit dem Schreiben anfing; zuerst Songs, später Theaterstücke, dann Musicals fürs Londoner West End. Seine preisgekrönten Stücke "Educating Rita" und "Shirley Valentine" wurden erfolgreich verfilmt.

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