"Can you believe it?" (Week 2)

Schon mal 428 Halbmonde in 12 Tagen erlebt? Nein, diesen Mondzyklus gibt es nur am Teacher Training. Zur Erklärung: "Half Moon" ist die erste von 26 Asanas (Körperübungen), die im Zuge einer Bikram Yoga Klasse geübt werden. Sämtliche Übungen werden dabei vom Lehrer verbal instruiert, und zwar mittels einer vorgegebenen, genau definierten "Befehlskette" - dem sogenannten Teacher's Dialogue. Diesen auswendig zu lernen (und quasi im Schlaf wiedergeben zu können) nimmt neben den knapp 100 Yogaklassen die meiste Zeit unseres Trainings in Anspruch. Und dem Half Moon kommt dabei eine Sonderstellung zu: es ist die einzige Übung die man vor Bikram persönlich vortragen muss, und bei der sämtliche Mitstudenten anwesend sind. Dazu stellt man sich auf ein Podium, bekommt 3 Mitstudenten als "Demonstratoren" zugeteilt, ein Mikrofon in die Hand gedrückt, und spult (oder stottert) den Dialogue herunter, während Bikram (in der 1. Reihe fussfrei auf seinem Sofa thronend) einem dabei zusieht.


Im Idealfall dauert das pro Student (inkl. einer kurzen Vorstellung und Nachbesprechung) etwa 2 Minuten, häufig aber dauert es länger weil entweder der Student patzt und/oder Bikram eine weitere Anekdote aus seinem bewegten Leben parat hat, die er mit dem Publikum teilen möchte und meist mit dem Satz "Can you believe it?" abschliesst. Insgesamt hat es jedenfalls knapp 2 Wochen gedauert um alle 428 Studenten dranzunehmen, und am Montag war endlich auch ich an der Reihe. Der etwa eine A4-Seite lange Text ging mir flüssig und problemlos über die Lippen (kein Wunder, hatte ich ihn doch schon knapp 300x gehört) und ich bekam von Bikram auch besonderes Lob für mein relativ akzentfreies Englisch (über das sich mein Zimmerkollege Stephen allerdings bei jeder Gelegenheit mit Schwarzenegger-Sprüchen wie zB. "Run, get to the chopper!" lustig macht). Aber ich durfte es in jedem Fall als gelungenen Start in die 2. Woche verbuchen, und auch im Hotroom fühle ich mich nun wohler: seit Montag werden wir nämlich immer mit Reggaemusik aus den Lautsprechern auf die Morgenklasse eingestimmt! :-)

Von meiner guten Laune und Yogapraxis euphorisiert, beschloss ich am Mittwoch mit Bikram und etwa 20 anderen Studenten freiwillig für eine weitere Filmvorführung zu bleiben, obwohl wir bereits am Vorabend verpflichtend den Bollywood-Sandalenfilm "Jodhaa Akbar" ansehen mussten. "KRRISH, der Sternenheld" war immerhin der erste Film bei dem ich es geschafft hab' durchgehend munter zu bleiben, aber das machte ihn nicht weniger anstrengend. Die Inder haben uns Yoga geschenkt - aber über ihren Filmgeschmack & Sinn für Humor kann ich teilweise nur den Kopf schütteln. Mal abgesehen davon, dass sämtliche Filme zumindest an der 3-Stunden-Marke kratzen und mindestens 3 Genres in sich vereinen: wieso müssen es immer dieselben Darsteller sein, und das auch noch in mehrfachen Rollen?? In allen 3 Filmen die wir bisher gesehen haben hat Hrithik Roshan die Hauptrolle gespielt, in zweien davon übernahm er sogar Doppelrollen. Es scheint fast als ob man die abstrusesten Plots konzipiert, nur um dem Schauspieler noch mehr Leinwandpräsenz zu geben! In "KRRISH" spielte er jedenfalls nicht nur den gleichnamigen Superhero (der sich von seiner Alltags-Identität als Krishna im wesentlichen nur durch das Doppel-"r" und das Aufsetzen einer Karnivalsmaske unterschied), sondern auch noch dessen Vater Rohit, ein nerdiges Physikgenie, das von einem fiesen Industriellen in Singapur in einer Art Wassertank konserviert wurde, damit sein EKG & Iris-Scan in der Zukunft als Passwort zu einem Supercomputer genutzt werden kann, den er 30 Jahre zuvor nach seiner Konstruktion sicherheitshalber wieder zerstört hatte, um mißbräuchlicher Nutzung (der Computer erlaubte dem Benutzer nämlich, in die Zukunft zu sehen!) vorzubeugen. Kann noch jemand folgen? Spielt aber auch keine Rolle. Was jetzt vielleicht wie eine Comicverfilmung klingen mag, war gleichzeitig Familiendrama, Teenie-Komödie, Science-Fiction-Abenteuer & Lovestory - natürlich inklusive Tanzeinlagen und wehendem Haar (kann mir jemand verraten was es mit dem indischen Fetisch für wehendes Haar auf sich hat?? Stephan Mey, bitte!). Als ich mir anschliessend müde die Augen rieb, und einen kanadischen Studenten fragte was dieser Film seiner Meinung nach für einen educational value gehabt haben könnte, meinte dieser nur achselzuckend: "maybe that it's not a good thing if you can actually foresee the future...?" - "Yeah, right." Auch ohne einen Supercomputer zu besitzen und in die Zukunft schauen zu können: ich sehne bereits den Tag herbei an dem uns Bikram mit der Verfilmung der Mahabbharata etwas zeigt, das uns tatsächlich die indische Kultur näherbringt!

Bikram ist sympathisch, unterhaltsam, und hat Charisma - aber dass er tatsächlich fast jede Nacht mit einem dieser unfreiwillig komischen Machwerke verbringt, kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Wenn mir mehrere hübsche Mädels dabei 3 Stunden lang eine Fussmassage verpassen würden, könnte ich dem ganzen vielleicht schon eher positive Seiten abgewinnen... und genau das tut Bikram auch! :-) Er lässt sich, bequem auf seine Couch gebettet, 3 Stunden lang von unterschiedlichen Frauen (welche auf dem Teppich vor seiner Couch Platz nehmen) die Füsse massieren! Dieser Anblick gehört mit Sicherheit zu den bizarrsten Dingen dieser Ausbildung, aber die Frauen (übrigens allesamt Staff-Mitglieder, und - noch - keine Studentinnen), scheinen es freiwillig und gerne zu tun. Ähnlich bizarr ist bisher wohl nur das "Grünverbot". Mir war zwar schon vorher bekannt dass Bikram aufgrund eines tragischen Unfalls in seinem Freundeskreis mit der Farbe Grün ein Problem hat und wir diese Farbe im Hotroom daher nach Möglichkeit meiden sollten; aber dass dies am Training tatsächlich als explizites Verbot umgesetzt werden würde, damit hab ich nicht gerechnet. Und so ging ich am Abend der KRRISH-Vorführung ohne jede böse Absicht in meinem grün-karierten Hemd (welches ich erst vor kurzem von Kati geschenkt bekommen hab) in den Hörsaal. Anfangs ging ein Raunen durch die Menge, welches ich zunächst noch gar nicht auf mich bezog. Als sich dieses jedoch in lautstarkes Gelächter auswuchs, wurde mir klar dass es mit mir zu tun haben musste. Hatte ich etwa einen riesengrossen Pickel auf der Stirn? Oder einen Zettel mit der Aufschrift "Kick me!" am Rücken kleben?? Bevor ich noch richtig erröten konnte, eilte bereits ein Staff Member (mein Zimmerkollege Stephen nennt sie auch gerne die Yoga Police) auf mich zu und erklärte mir freundlich aber bestimmt, dass ich schleunigst dieses Hemd loswerden müsste, bevor Bikram den Raum betritt. Ich riss mir also das Hemd vom Leib (woraufhin das Gelächter natürlich sofort einem anerkennenden Pfeifen wich, haha das kennt Euer Doctor Fränk ja schon!) und liess es umgehend in meinem Rucksack verschwinden... und werde in Zukunft wohl auch mit dem Finger auf jemanden zeigen, bloss weil er ein grünes Hemd trägt... "CAN YOU BELIEVE IT"?!? ;-)

Was ist sonst noch passiert? Nach 2 aufeinanderfolgenden Nächten mit nur 3-4 Stunden Schlaf tat ich mir am Donnerstag ganz schwer in den Yogaklassen, und musste erstmals vorzeitig den Raum verlassen. Zu meiner Verteidigung: die Raumtemperatur lag während der Klasse angeblich zwischen 45 und 55 Grad Celsius (Anm: Bikram Yoga wird in der Regel bei 38°C praktiziert). Danach war ich so fertig, dass ich am Zimmer eingenickt bin, den Sign-In für die Abendvorlesung verpasste, und mir dadurch eine Makeup-Class einhandelte. Nein, das ist kein Schminkkurs, sondern eine zusätzliche Klasse die man am Samstag um 11:00 einschieben muss, während für alle anderen bereits das Wochenende beginnt. Allerdings war ich nicht der einzige, und in Gesellschaft von etwa 25 anderen Yogis war es eine meiner besten Klassen bisher - vielleicht auch weil es sich erstmals "wie daheim" im Studio anfühlte. Ich überlege nun sogar, in Zukunft freiwillig ein paar Makeup-Klassen zu besuchen damit ich in Summe auf 100 Yogaklassen während des Trainings komme - schon alleine deshalb, weil es eine schöne runde Summe wäre. Immerhin, 22 Klassen hab ich bereits hinter mir... und bin bereit für die 3. Woche!

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